[ Teil I: Wildgänse rauschen durch die Nacht . . . ]

Eine stürmische Vorfrühlingsnacht ging durch die kriegswunden Laubwälder Welsch-Lothringens, wo

monatelanger Eisenhagel jeden Stamm gezeichnet und zerschroten hatte. Ich lag als Kriegsfreiwilliger wie hundert Nächte zuvor auf der granatenzerpflügten Waldblöße als Horchposten und sah mit windheißen Augen in das flackernde Helldunkel der Sturmnacht, durch die ruhlose Scheinwerfer über deutsche und französische Schützengräben wanderten. Der Braus des Nachtsturms schwoll anbrandend über mich hin. Fremde Stimmen füllten die zuckende Luft. Über Helmspitze und Gewehrlauf hin sang und pfiff es schneidend, schrill und klagend, und hoch über den feindlichen Heerhaufen, die sich lauernd im Dunkel gegenüberlagen, zogen mit messerscharfem Schrei wandernde Graugänse nach Norden.

Die verflackernde Lichtfülle schweifender Leuchtkugeln hellte wieder und wieder in jähem Überfall die klumpigen Umrisse kauernder Gestalten auf, die in Mantel und Zeltbahn gehüllt gleich mir, eine

Kette von Spähern, sich vor unseren Drahtverhauen in Erdmulden und Kalkgruben schmiegten. Die Postenkette unsres schlesischen Regiments zog sich vom Bois des Chevaliers hinüber zum Bois de Vérines [siehe Anmerkung unten], und das wandernde Heer der wilden Gänse strich gespensterhaft über uns alle dahin. Ohne im Dunkel die ineinanderlaufenden Zeilen zu sehen, schrieb ich auf einen Fetzen Papier ein paar Verse:

Wildgänse rauschen durch die Nacht

Mit schrillem Schrei nach Norden –

Unstäte Fahrt! Habt acht, habt acht!

Die Welt ist voller Morden.

 

Fahrt durch die nachtdurchwogte Welt,

... 

[Anmerkung]

Die beiden Waldabschnitte befinden sich ca. 1 km nordwestlich der französischen Gemeinde Seuzey (Département de la Meuse, Région Lorraine), diese ca. 7 km nordwestlich des heutigen Stausees »Lac de Madine«. Seuzey liegt ungefähr auf halber Strecke Luftlinie zwischen Nancy und Verdun.

 

(c) bge-verlag gmbh 2014

 

 

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